Fakultät für Physik
Physikalisches Praktikum P1 für Studierende der Physik
Versuch P1-26, 27, 28 (Stand: Oktober 2023)
Kreisel
Motivation
Die uns umgebende Natur ist i.a. weder geradlinig noch punktförmig, wie in der Schule oder den ersten Einführungsvorlesungen der Mechanik oft vorausgesetzt. Physikalische Körper bewegen sich im dreidimensionalen Raum und haben eine endliche Ausdehnung. Als erste Konsequenz erfolgt die Beschreibung der Bewegung physikalischer Körper nicht allein mit der Hilfe skalarer Größen, wie der Masse m, sondern zusätzlich mit der Hilfe von Vektoren, mehr-komponentigen mathematischen Darstellungen, wie dem Ortsvektor \vec{r}, mit einem fest vorgegebenen Verhalten unter Transformationen im Raum. Ausgedehnte Körper, bei denen einzelne Punkte im Raum in festen Beziehungen zueinander stehen werden zudem mit Hilfe von Tensoren beschrieben. Die Welt der analytischen Geometrie wird durch komplizierte Verknüpfungen wie das innere, äußere oder das Tensorprodukt bestimmt. Wichtige mathematische Gebilde, wie der Hilbertraum, sind der Natur abgeschaut.
Ausgedehnte Körper können manchmal nicht-intuitive, zum Teil verrückt anmutende Bewegungen ausführen, die durch die Sprache der analytischen Geometrie genau beschrieben und vorhergesagt werden können. Gerade aufgrund seiner bemerkenswerten Bewegungsformen ist der Kreisel vielen von Ihnen, als physikalisches Spielzeug, seit Kindesbein wohl bekannt. In der Physik ist der Kreisel ein niemals langweiliges Studienobjekt, um die manchmal nicht-intuitive Erfahrungswelt der uns umgebenden Realität mit der manchmal nicht besonders anschaulichen Welt der Mathematik in Verbindung zu bringen. Mit dem Versuch Kreisel, haben Sie Gelegenheit hierzu.
Lehrziele
Wir listen im Folgenden die wichtigsten Lehrziele auf, die wir Ihnen mit dem Versuch Kreisel vermitteln möchten:
- Sie vergegenwärtigen sich die Bedeutung von Skalaren, Vektoren und Tensoren.
- Mit dem Trägheitstensor \boldsymbol{\Theta} beschäftigen Sie sich mit einer der experimentell zugänglichsten und noch anschaulichsten Tensorgrößen in der klassischen Physik. Dabei haben Sie die Möglichkeit mathematisch abstrakte Konzepte, wie Eigenwert, Eigenvektor oder Hauptachsentransformation, die Sie aus der linearen Algebra kennen physikalisch mit Leben zu füllen. Eigenwertprobleme sind von entscheidender Bedeutung bei der Beschreibung stationärer Zustände in der Physik.
- Sie untersuchen wichtige, nicht-alltägliche und zunächst nicht-intuitiv anmutende Eigenschaften des symmetrischen Kreisels, wie Nutation und Präzession und bestimmen daraus die Trägheitsmomente \Theta_{i} entlang der Hauptträgheitsachsen eines kardanisch gelagerten Kreisels.
- Als historische Anwendung diskutieren Sie die Funktionsweise des Kreiselkompass.
Versuchsaufbau
Dieser Versuch ist zweigeteilt. Im Folgenden sind die verwendeten Aufbauten kurz beschrieben. Eine Auflistung der für ihre Auswertung wichtigen Bauteile und deren Eigenschaften finden Sie in der Datei Datenblatt.md.
Physik starrer Körper
Im ersten Versuchsteil machen Sie ganz persönliche Erfahrungen mit der Physik starrer Körper, bei denen z.T. Sie selbst das Versuchsobjekt sind.


Hierzu stehen Ihnen die folgenden Utensilien zur Verfügung:
- Ein Drehschemel und ein Rad mit Zugband und Griffen (im Folgenden auch als Fahrradkreisel bezeichnet).
- Eine Sammlung von Holzquadern, die Sie in ihren Schwerpunkten zu jeder Grundfläche an einem Draht aufhängen können. Der Draht kann mit Hilfe eines externen Elektromotors in Drehung versetzt werden, so dass Sie das Verhalten der Holzquader bezüglich jeder Ihrer Hauptachsen untersuchen können.
- Ein kardanisch gelagerter Kreiselkompass auf einer drehbahren tellerförmigen Standfläche. Die Standfläche dient als Ersatz für die rotierende Erde. Der Kreisel lässt sich gegen die Standfläche verkippen, um variierende Breitengrade nachzustellen. Der innere Kardanrahmen des Kreisels ist mit Schraubenfedern in der angenommenen Tangential- (Horizontal-)ebene des eingestellten Breitengrads fixiert. Der Rotor des Kreisels kann mit Hilfe einer aufsetzbaren Antriebskurbel in Rotation versetzt werden. Die Standfläche wiederum kann mit Hilfe eines externen Elektromotors in eine langsame gleichmäßige Rotation versetzt werden, um die Revolution der Erde zu simulieren.
Kardanisch gelagerter Kreisel
Im zweiten Versuchsteil nehmen Sie quantitative Untersuchungen an einem kardanisch gelagerten Kreisel vor, den Sie mit Hilfe eines externen Elektromotors antreiben können.

Der Rotor des Kreisels wird durch zwei Kardanrahmen gehalten. An den äußeren Kardanrahmen lassen sich (beidseitig) zwei Zylinder oder (einseitig) ein Metallstab, als zusätzliche Gewichte anbringen. Mit Hilfe der symmetrisch zu montierenden Zylinder erhöhen Sie das Trägheitsmoment entlang einer der Hauptträgheitsachsen des Kreisels. Mithilfe des Stabs sorgen Sie dafür, dass ein resultierendes Drehmoment auf den Kreisel wirkt, der dadurch nicht mehr momentenfrei lagert und in Präzession versetzt wird. Frequenzmessungen nehmen Sie mit Hilfe von Photosensoren mit eingebauten Lichtquellen vor, die zur flexibleren Handhabe auf Schwanenhalshalterungen montiert sind. Aus den durchgeführten Messungen können Sie auf geschickte Weise die Trägheitsmomente entlang der Hauptträgheitsachsen des Kreisels experimentell bestimmen und die Masse des Rotors abschätzen.
Wichtige Hinweise zum Versuch
- Rotierende Körper können sehr viel Energie aufnehmen, die man ihnen zunächst nicht ansieht. Lassen Sie daher im Umgang mit den Kreiseln besondere Vorsicht walten. Achten Sie z.B. darauf, dass sich lange Haare nicht im Kreisel verfangen.
- Bei den Apparaturen handelt es sich z.T. um sehr teure Spezialanfertigungen zu pädagogischen Zwecken. Verwenden Sie zum Abbremsen der Kreisel die bereitliegenden Stofflappen und gehen Sie achtsam mit den Gerätschaften um.
Navigation
- Wichtige Hinweise zur Vorbereitung und Durchführung von Aufgabe 1 finden Sie in der Datei Hinweise-Aufgabe-1.md.
- Wichtige Hinweise zur Vorbereitung und Durchführung von Aufgabe 2 finden Sie in der Datei Hinweise-Aufgabe-2.md.
Das P1 befindet sich derzeit in der Umstellung zu verbesserten Anleitungen, die alle notwendigen Informationen zur Vorbereitung auf den Versuch beinhalten.
Im Verzeichnis doc
finden Sie auch noch die originale Version der alten Anleitunge. In einigen Fällen weichen Nummerierungen und Reihenfolge der Versuchsteile in den alten Anleitungen von der jeweiligen Version in Jupyter-notebook ab. In diesen Fällen ist die jeweilige Version der Durchführung in Jupyter-notebook für Sie maßgeblich!