Im Rahmen dieser Aufgabe führen Sie quantitative Untersuchungen an einem kardanisch gelagerten Kreisel durch. Wie dieser Kreisel genau aussieht ist in **Abbildung 1** gezeigt:
**Abbildung 1** (Kardanisch gelagerter Kreisel im P1)
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Er besteht aus einem **Rotor**, der in seiner Figurenachse drehbar an einem **inneren Kardanrahmen** befestigt ist. Senkrecht zur Figurenachse des Rotors ist der innere wiederum drehbar an einem **äußeren Kardanrahmen** befestigt. Der äußere Kardanrahmen ist drehbar mit einer **Bodenplatte** verbunden. Im Bild sind der Rotor schwarz, die Kardanrahmen gelb und die Bodenplatte grau zu sehen. Auf diese Weise kann sich der Rotor grundsätzlich frei im Raum drehen.
### Nutation
Wir diskutieren das Phänomen der [Nutation](https://de.wikipedia.org/wiki/Nutation_(Physik)) ohne Einschränkung der Allgemeinheit am Beispiel eines kräftefrei gelagerten Kreisels, für den Richtung und Betrag von $\vec{L}$ zeitlich konstant sind. Verläuft $\vec{L}$ entlang einer der Hauptträgheitsachsen sind auch Richtung und Betrag von $\vec{\omega}$ zeitlich konstant und nach Gleichung (**(5)**[hier](https://gitlab.kit.edu/kit/etp-lehre/p1-praktikum/students/-/tree/main/Kreisel/doc/Hinweise-Aufgabe-1.md)) gilt $\vec{\omega}\parallel\vec{L}$, wie in **Skizze 3** (links) gezeigt. Wir legen unseren Betrachtungen weiterhin das Modell eines symmetrischen Kreisels, mit der Figurenachse $\hat{z}$ zugrunde.
**Skizze 3** (Lage von $\vec{L}$ und $\vec{\omega}$ für einen symmetrischen Kreisel, (links) für den Fall, dass $\vec{L}$ entlang der Figurenachse $\hat{z}$ verläuft, und (mittig und rechts) für den Fall, dass dies nicht zutrifft)
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Verläuft $\vec{L}$ nicht entlang einer der Hauptträgheitsachsen, ändert $\vec{\omega}$ die Richtung und der Kreisel vollzieht eine Nick- oder Nutationsbewegung, wie in **Skizze 4** gezeigt:
Im raumfesten Bezugssystem $K$ umläuft die momentane Drehachse $\vec{\omega}(t)$ den (in $K$ ruhenden) Drehimpulsvektor $\vec{L}$ auf dem **Rastpolkegel** (rot). Im körperfesten Bezugssystem $\widetilde{K}$ umläuft $\vec{\omega}$ zur gleichen Zeit (die in $\widetilde{K}$ ruhende Figurenachse) $\hat{z}$ auf dem den **Gangpolkegel** (blau). Die resultierende Bewegung lässt sich durch ein schlupffreies Abrollen des Gangpolkegels auf dem Rastpolkegel in $K$ beschreiben. Auf der Berührlinie der beiden Kegel liegt $\vec{\omega}(t)$. Die Figurenachse $\hat{z}$ des Kreisels beschreibt dabei den **Nutationskegel** (schwarz) in $K$, dessen Kegelachse mit $\vec{L}$ zusammenfällt.
Der genaue Ablauf dieser Bewegung hängt von der Beschaffenheit des Kreisels ab:
- Für den prolaten Kreisel ($\theta_{z}<\theta_{\perp}$, **Skizze 3** mittig, **Skizze 4** links) liegt $\vec{\omega}$ zwischen $\hat{z}$ und $\vec{L}$; der *äußere* Mantel des Gangpolkegels rollt auf dem äußeren Mantel des Rastpolkegels ab; in $K$ kreisen $\vec{\omega}$ und $\hat{z}$ in Phase um $\vec{L}$.
- Für den oblaten Kreisel ($\theta_{z}>\theta_{\perp}$, **Skizze 3** rechts, **Skizze 4** rechts) liegt $\vec{L}$ zwischen $\hat{z}$ und $\vec{\omega}$; der *innere* Mantel des Gangpolkegels rollt auf dem äußeren Mantel des Rastpolkegels ab; in $K$ kreisen $\vec{\omega}$ und $\hat{z}$ gegenphasig um $\vec{L}$.
**Skizze 4** (Bewegungsablauf des Kreisels für den (links) prolaten und (rechts) oblaten symmetrischen Kreisel)
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Um die Nutation quantitativ besser zu verstehen empfiehlt es sich $\vec{\omega}$ in einen Anteil $\vec{\omega}_{\hat{z}}$ parallel zu $\hat{z}$ und einen Anteil $\vec{\omega}_{N}$ parallel zu $\vec{L}$ zu zerlegen:
wie in **Skizze 5** dargestellt. Ebenfalls in die Skizze eingetragen sind der Öffnungswinkel des Gangpolkegels $\alpha$ und der Öffnungswinkel des Nutationskegels $\beta$.
Wie aus Gleichung **(1)** ersichtlich gilt für den oblaten (prolaten) Kreisel $\omega_{N}>\omega$ ($\omega_{N}<\omega$).
Die obigen Betrachtungen gelten für einen einfachen symmetrischen Kreisel. Im Fall des in **Abbildung 1** gezeigten, kardanisch gelagerten Kreisels, wie er im Praktikum zum Einsatz kommt, müssen die Trägheitsmomente der *massiven* Kardanrahmen bei der Beschreibung der Kreiselbewegung berücksichtigt werden. Bei Drehungen um $\hat{x}$ dreht sich der innere und bei Drehungen um $\hat{y}$ sowohl der innere, als auch der äußere Kardanrahmen mit. Für die Trägheitsmomente gilt daher:
wobei $\theta_{x}=\theta_{y}$ die Trägheitsmomente des Rotors, $\theta_{x,y}^{\mathrm{K,i}}$ die Trägheitsmomente des inneren und $\theta_{x,y}^{\mathrm{K,a}}$ die Trägheitsmomente des äußeren Kardanrahmens sind. Unter diesen Voraussetzungen ergibt sich für kleine Werte von $\beta$